Malaysia
Malaysia
Malaysia
Geschäftsführerin von Sisters in Islam (SIS)
Geschäftsführerin von SIS Forum
Geschäftsführerin von SIS Forum
Malaysia
Geschäftsführerin von SIS Forum
„Wir leben in einer Zeit, in der es nicht nur einen starken Backlash gegen Gleichberechtigung, Feminismus und Liberalismus gibt, sondern in der auch Bewegungen und konzertierte Bemühungen gegen diese Ideale innerhalb staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Akteure existieren.“
VITA
Rozana Isa ist Geschäftsführerin von SIS Forum (Malaysia) (ehemals bekannt als Sisters in Islam), einer malaysischen Nicht-Regierungs-Organisation (NRO), die sich für die Rechte der Frauen im Islam einsetzt. Sie schloss sich 1999 der malaysischen Frauenrechtsbewegung an, um gegen Gewalt gegen Frauen vorzugehen. Die Arbeit bei SIS befasst sich mit den Herausforderungen, mit denen muslimische Frauen konfrontiert sind, wenn es darum geht, dass ihre Rechte im Kontext des Islam in Politik und Gesellschaft anerkannt und ausgeübt werden, und das in einem Land, das in Bezug auf ethnische Zugehörigkeit, Denken, Glauben und Lebensweise sehr vielfältig ist. Bevor sie SIS leitete, arbeitete Rozana für mehrere nationale, regionale und internationale Frauenrechtsorganisationen.
Können Sie uns sagen, mit welchen Herausforderungen muslimische Frauen in Malaysia konfrontiert sind?
Die Gleichberechtigung der Frauen im öffentlichen Bereich, also bei Bildung und Beschäftigung, ist allgemein anerkannt. Dennoch sind muslimische Frauen in ihrem persönlichen und familiären Leben nach wie vor mit struktureller und rechtlicher Diskriminierung konfrontiert, auch in Bezug auf sexuelle und reproduktive Gesundheit und Rechte. Muslimische Frauen in Malaysia sind von einseitigen Scheidungen durch ihre Ehemänner außerhalb eines Gerichtsverfahrens betroffen, bei denen eine obligatorische Erlaubnis oder Rücksprache mit deren erster oder vorheriger Ehefrau erforderlich sein kann. Sie sind auch dem Risiko ausgesetzt, dass ihre Ehemänner Polygamie ohne Erlaubnis oder Rücksprache mit ihren ersten/vorherigen Ehefrauen praktizieren können. Scheidungsrechtliche Bestimmungen, die speziell für Ehefrauen gelten, können nun auch von Ehemännern in Anspruch genommen werden, indem diese Gesetze geschlechtsneutral gestaltet werden. Muslimische Mütter haben ein Recht auf das Sorgerecht für ihre Kinder, nicht aber auf die rechtliche Vormundschaft. Zwar wurde die Politik dahingehend reformiert, dass Mütter wichtige Dokumente unterzeichnen können, doch die rechtliche Vormundschaft liegt weiterhin beim Vater. Die Gesetze über die Verteilung des Erbes entsprechen nicht den heutigen Gegebenheiten und benachteiligen die Ehefrauen und Töchter in der Familie, da der größere Anteil an die Söhne oder die patrilineare Linie geht, weil sie für die Versorgung und Pflege der weiblichen Familienmitglieder verantwortlich sind. In der Realität gibt es jedoch keine Gewähr dafür, dass die männlichen Familienmitglieder dies auch tun, zumal die Durchsetzung der Vorschriften, die sicherstellen sollen, dass die Väter ihren Kindern ausreichend und regelmäßig Unterhalt zahlen, gering ist. Kinderehen, vor allem für Mädchen, sind immer noch weit verbreitet und werden in hohem Maße toleriert, weil es keinerlei Toleranz für unverheiratete Schwangerschaften und eine starke Stigmatisierung von unehelichen Kindern gibt. Dies führt oft zur Aussetzung von Säuglingen.
Was ist die Aufgabe von Sisters in Islam, einer zivilgesellschaftlichen Organisation, die sich für die Rechte der Frauen einsetzt, und woran arbeiten Sie derzeit?
Die zentrale Grundlage unserer Arbeit und der Grund für unsere Existenz ist die Förderung und Reform der Rechte muslimischer Frauen in der Familie, die auf fortschrittlichen islamischen Lehren, verfassungsrechtlichen Garantien, Menschenrechtsprinzipien und den Lebenserfahrungen von Frauen basiert. Damit einher geht die Arbeit zur Wahrung der Grundfreiheiten der Malaysier und ihrer Rechte gemäß der Bundesverfassung, einschließlich der Rede- und Meinungsfreiheit, der Gedanken-, Gewissens- und Glaubensfreiheit sowie der Beendigung schädlicher Praktiken im Namen von Religion und Kultur. Aufgrund des Kontextes, in dem wir leben, müssen wir uns auch mit den Realitäten des zunehmenden religiösen Konservatismus und Autoritarismus in einer parlamentarischen Demokratie sowie mit pluralen Rechtssystemen in einer in Bezug auf Ethnie, Kultur und Religion diversen Gesellschaft auseinandersetzen.
Vor welchen Herausforderungen stehen die Organisationen der Zivilgesellschaft in Malaysia?
Wir leben in einer Zeit, in der es nicht nur einen starken Backlash gegen Gleichberechtigung, Feminismus und Liberalismus gibt, sondern in der auch Bewegungen und konzertierte Bemühungen gegen diese Ideale innerhalb staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Akteure existieren. Sie werden durch Geldmittel, Technologie und den Einsatz von Gesetzen und politischen Maßnahmen unterstützt, die abweichende Gedanken und Meinungen unterdrücken. Das umfasst die ebenso die Konsolidierung des religiösen Autoritarismus durch parlamentarische und legislative Prozesse.
Ist SIS mit Widerstand, Repression oder Einschüchterung konfrontiert?
Ja, im Juli 2014 wurde SIS durch eine Fatwa des Fatwa-Komitees von Selangor für abweichend erklärt, weil sie sich für Liberalismus und religiösen Pluralismus einsetzt. SIS beantragte eine gerichtliche Überprüfung vor einem Zivilgericht. Nach mehr als 10 Jahren, in denen die verschiedenen Phasen des Gerichtsverfahrens durchlaufen wurden, verkündete das Bundesgericht am 19. Juni 2025 sein Urteil. Laut dem Urteil können Fatwas nicht auf juristische Personen, Institutionen oder Organisationen angewendet werden. Allerdings bleibt die Fatwa für alle Mitglieder der Organisation als Individuen, die den Islam als ihre Religion bekennen, weiterhin gültig. In Malaysia wird der Status „Islam“ auf der Geburtsurkunde und dem Personalausweis von Personen vermerkt, die in eine muslimische Familie hineingeboren wurden oder zum Islam konvertiert sind. Auch wenn das Urteil einen entscheidenden Sieg für SIS als Organisation darstellt, erinnert es zugleich daran, dass islamische Gesetze für uns als Einzelpersonen gelten und dass eine offiziell veröffentlichte Fatwa Rechtskraft besitzt. Das bedeutet, dass Einzelpersonen nach dem Syariah-Strafgesetz belangt werden können, wenn sie gegen die Fatwa verstoßen. Am Abend der Verkündung des Urteils durch das Bundesgericht forderte der Sultan von Selangor SIS auf, den Begriff „Islam“ aus unserem Namen zu streichen, um Verwirrung in der muslimischen Gemeinschaft zu vermeiden. Nach einer außerordentlichen Generalversammlung (EGM) am 11. Juli 2025 stimmten wir dafür, unseren bisherigen Namen „Sisters in Islam“ nicht weiter zu verwenden. Künftig treten wir unter unserem eingetragenen Namen auf: SIS-Forum (Malaysia).
Haben Sie irgendwelche Schutz- oder Unterstützungsmechanismen?
Wir haben die notwendigen Maßnahmen in unseren Büroräumen getroffen und die erforderliche Unterstützung für die SIS-Mitarbeiter bereitgestellt; dennoch bleiben wir ebenso verwundbar – wenn nicht sogar noch mehr –, da die Fatwa weiterhin auf uns als Einzelpersonen Anwendung findet. Unsere Arbeit erfordert stärkere Unterstützung bei der Entwicklung strategischen Denkens sowohl in der Umsetzung als auch in der Kommunikation. Es ist möglich, dass religiöse Autoritäten weiterhin Anstoß an unserer Arbeit nehmen, und der Zugang zu Gerechtigkeit vor den Syariah-Gerichten würde auf die Probe gestellt – auch wenn dies kein Weg ist, den wir einschlagen möchten.
Haben Sie das Gefühl, dass Ihre Arbeit die Rechte der Frauen in Malaysia vorangebracht hat und wie?
Auf jeden Fall. Die größte Errungenschaft von SIS ist die Schaffung einer Stimme, die im öffentlichen Raum über den Islam und die Rechte der muslimischen Frauen spricht. Dies ist von großer Bedeutung, wenn es darum geht, einer weiteren Verschlechterung der Rechte muslimischer Frauen entgegenzuwirken, die auf einem Islamverständnis basiert, das Frauen als dem Mann untergeordnet betrachtet. Wir glauben, dass der Islam für Gleichheit und Gerechtigkeit steht, und mit dieser Überzeugung äußern wir unsere Position zum Islam und zu den Rechten der Frauen. Dieser öffentliche Raum, einschließlich des digitalen Raums, schrumpft jedoch aufgrund der Fatwa und anderer Bundesgesetze mit vagen Bestimmungen, die die Rede- und Meinungsfreiheit einschränken. Dies umfasst auch die wichtigen Themen Ethnie, Religion und Königtum. Die Arbeit im Bereich der Frauenrechte erfolgt in einer Koalition mit anderen NROs, die sich für die Rechte der Frauen einsetzen, wie z. B. der Joint Action Group for Gender Equality (JAG). In jüngster Zeit wurden bedeutende Fortschritte bei Gesetzen und politischen Maßnahmen in Bezug auf geschlechtsspezifische Gewalt, sexuelle Belästigung und das Recht malaysischer Mütter, die Staatsbürgerschaft an ihre im Ausland geborenen Kinder weiterzugeben, erzielt. Die Durchsetzung von Gesetzen und Gerichtsbeschlüssen, die sich auf die Rechte muslimischer Frauen und ihrer Kinder beziehen, ist immer noch sehr schwach, Kinderehen in ländlichen und städtischen Gemeinden immer noch weit verbreitet, ebenso wie die Beschneidung von Frauen in muslimischen Gemeinden.
Haben Sie eine Botschaft für Vertreter der Zivilgesellschaft in anderen muslimischen Ländern?
Angenommen, wir würden uns nicht für das Verständnis und die Auslegung der Bedeutung des Islam, seiner Gesetze und Praktiken engagieren – was würde das bedeuten? In diesem Fall wird es immer jemand anderen geben, der definiert und bestimmt, was der Islam, seine Gesetze und Praktiken für den Rest von uns bedeuten und sein sollten.
Malaysia