PAKISTAN
„Lernen Sie ständig neue technologische Fortschritte und digitale Werkzeuge kennen, um der Propaganda im digitalen und nicht-digitalen Raum entgegenzuwirken.“
PAKISTAN
Nighat Dad ist die Gründerin und Geschäftsführerin der Digital Rights Foundation, einer gemeinnützigen Organisation, die sich für digitale Freiheiten in Pakistan einsetzt. Die Juristin ist Mitglied des Facebook-Aufsichtsrats. Ihre Arbeit konzentriert sich auf digitale Rechte, insbesondere Datenschutz, freie Meinungsäußerung im Internet und Online-Gewalt. Sie bezeichnet sich selbst als Feministin und setzt sich dafür ein, Frauen im globalen Süden durch die Nutzung digitaler Technologien zu stärken. Nighat Dad wurde mit dem renommierten Tulip Award für Menschenrechte ausgezeichnet. Außerdem ist sie TED-Stipendiatin und gehört zu den Time's Next Generation Leader.
VITA
Nighat Dad ist die Gründerin und Geschäftsführerin der Digital Rights Foundation, einer gemeinnützigen Organisation, die sich für digitale Freiheiten in Pakistan einsetzt. Die Juristin ist Mitglied des Facebook-Aufsichtsrats. Ihre Arbeit konzentriert sich auf digitale Rechte, insbesondere Datenschutz, freie Meinungsäußerung im Internet und Online-Gewalt. Sie bezeichnet sich selbst als Feministin und setzt sich dafür ein, Frauen im globalen Süden durch die Nutzung digitaler Technologien zu stärken. Nighat Dad wurde mit dem renommierten Tulip Award für Menschenrechte ausgezeichnet. Außerdem ist sie TED-Stipendiatin und gehört zu den Time's Next Generation Leader.
Wie kam es es, dass Sie Menschenrechtsanwältin wurden?
Ursprünglich hatte ich nicht vor, Menschenrechtsanwältin zu werden. Mein konservativer und ländlicher Familienhintergrund stellte mich allerdings schon bei meiner eigenen Hochschulausbildung vor verschiedene Herausforderungen. In den ländlichen Gebieten Pakistans sind Grundrechte ein Fremdwort, insbesondere für Frauen. Nach Abschluss meines Jurastudiums wollte ich im Bereich Familienrecht arbeiten und mich dabei auf Eherecht konzentrieren. Der Kontakt zu schutzbedürftigen Frauen und Menschen, die in Fällen von häuslicher Gewalt, Säureangriffen und sogenannte Ehrenmorden Gerechtigkeit suchen, brachte mich jedoch dazu Menschenrechtsanwältin zu werden. Durch meinen eigenen Hintergrund hatte ich ein gutes Verständnis für die Schwierigkeiten und Hindernisse, mit denen Frauen vor Gericht konfrontiert sind, nicht nur als Anwältinnen, sondern auch als Opfer oder Antragsstellerinnen. Sie müssen von Pontius zu Pilatus laufen, um zu ihrem Recht zu kommen. Dies war dann ehrlich gesagt die Motivation für mich, tiefer in verschiedenen juristische Themen einzudringen. So habe ich entdeckt, dass rechtliche und politische Fragen im Zusammenhang mit dem Cyberspace, Internet-Governance, den digitalen Menschenrechten und dem Schutz der Privatsphäre wichtige Themen sind, an denen gearbeitet werden muss, um die grundlegenden Menschenrechtsstandards und bürgerliche Freiheiten im digitalen Zeitalter zu wahren.
Gab es eine konkrete Erfahrung, die Sie zum Menschenrechtsschutz in der digitalen Welt geführt hat?
In Pakistan gab es zwischen 2007 und 2008 nur ein gering ausgeprägtes Verständnis für das Internet und die neuen Plattformen der Sozialen Medien. Die Bürgerinnen und Bürger hatten keine Kenntnisse über das Recht auf Privatsphäre, Datenschutz, Cyber-Belästigung usw. Daher wurden Cybergesetze, digitale Partizipation und politische Rahmenbedingungen für Internetrechte zu meinem Fachgebiet, um Rechtsbeistand und ein Verständnis für die Herausforderungen der neuen Medien zu vermitteln. Ich wollte aufklären und einen Beitrag dazu leisten, dass Menschen ihre Grundrechte auch bewusst im Internet wahrnehmen. Meine Tätigkeiten wurden 2015 institutionalisiert, als ich eine gemeinnützige Organisation, die Digital Rights Foundation (DRF), gründete. Die DRF konzentriert sich in erster Linie auf Menschenrechte, demokratische Prozesse und digital governance in Pakistan durch forschungsbasierte Lobbyarbeit und rechtliche Unterstützung für Opfer. Die DRF-Helpline für Cyber-Belästigung wird von Experten betrieben, insbesondere von engagierten Anwälten und Anwältinnen sowie Aktivisten, die den Opfern von Cyber-Belästigung rechtliche und sozialpsychologische Beratung bieten. Frauen, politisch Andersdenkende, Journalisten und marginalisierte sexuelle und religiöse Minderheiten wenden sich häufig an die Hotline, um Hilfe und Auswege aus ihrem Leiden unter Online-Gewalt und Drohungen zu finden.
Gerade Frauen sind besonders von digitaler Gewalt betroffen. Wie hat sich #Metoo in Pakistan ausgewirkt?
Seit die #MeToo-Kampagne die Gesellschaft in Pakistan erreicht hat, haben viele Menschen, insbesondere Frauen, ihre schrecklichen Erfahrungen mit sexueller Belästigung und Missbrauch durch einflussreiche Personen geäußert. Ich habe Fälle im Zusammenhang mit #MeToo verhandelt und bin als Rechtsbeistand aufgetreten, um die Opfer von sexueller Belästigung zu unterstützen. Mein Ziel war immer, dass diese Frauen ihre Rechte wahrnehmen und ihre persönliche Integrität gegen Frauenfeindlichkeit in digitalen und nicht-digitalen Räumen zurückfordern. Das hatte einen Preis für mich. Ich war mit Verleumdungskampagnen und zahlreichen persönlichen und beruflichen Drohungen konfrontiert, die mich diskreditierten. Ich bin heute sehr stolz darauf, dass ich führend an diesen Fällen beteiligt war. Dies hat den öffentlichen Diskurs über Recht und Unrecht gegenüber Frauen in unserem Land verändert. Letztendlich glaube ich, dass die Wahrheit siegt und der Kampf so weiter geht.
Vor welchen Herausforderungen stehen Anwälte und Anwältinnen in Ihrem Land?
Ich bin der Meinung, dass sich die Herausforderungen vervielfachen, wenn eine Frau auch noch beschließt, eine Karriere als Menschenrechtsanwältin zu verfolgen. Man sollte bereit sein, sich zur Not auch gegen die eigene Berufsgruppe zu stellen, die nicht nur in den Gerichten, sondern auch in der Anwaltskammer und in der Justizverwaltung ziemlich einflussreich ist. Die Justiz und die juristische Infrastruktur sind sehr stark von geschlechtsspezifischen Vorurteilen und Diskriminierung gegenüber weiblichen Anwälten geprägt. Dies entmutigt jüngere, aufstrebende Frauen, die als Menschenrechtsanwältinnen tätig werden wollen. Die Situation kann nur durch die Einführung struktureller Reformen und Fortbildungsprogramme für Richter und Richterinnen geändert werden.
Gibt es Fälle, über die Sie berichten können, die aus Ihrer Sicht besonders politisch motiviert waren?
Der Fall von Qandeel Baloch, die durch Soziale Medien zu Ruhm gelangt ist und dann leider von ihrem eigenen Bruder ermordet wurde, war sehr stark politisch motiviert. Ich habe diesen Fall genau verfolgt. Er hat eine große öffentliche Debatte über die Meinungsfreiheit ausgelöst. Dieser Fall hat deutlich gemacht, wie leicht durch die Nutzung von Online-Räumen Offline-Räume vergiftet werden, und dies für Frauen tödlich enden kann, aber immer zu Gewalt, Hassreden und sozialer und politischer Aufwiegelung führt. Dieser Fall löste auch eine Diskussion über die Rechte von Frauen aus, individuelle Entscheidungen zu treffen, persönliche Autonomie und Sicherheit in Online- und Offline-Räumen. Leider konnte der ermordete Social-Media-Star keine Gerechtigkeit erfahren, da ihr Bruder vor Gericht frei gesprochen wurde, doch ihr Fall hat den Druck erhöht, die Gesetze über sogenannnte Ehrenmorde zu ändern.
„Lernen Sie ständig neue technologische Fortschritte und digitale Werkzeuge kennen, um der Propaganda im digitalen und nicht-digitalen Raum entgegenzuwirken.“
Was sollte getan werden, um die Menschenrechtssituation in Pakistan zu verbessern?
Fälle von Menschenrechtsverletzungen gehen immer auf dieselben Ursachen zurück, wenn Machthaber oder Mächtige ihre Autorität missbrauchen und das grundlegende System, das den Schutz der Grundrechte gewährleistet, verletzen. Deshalb ist der Kampf für die Menschenrechte mit großen Herausforderungen verbunden. Menschenrechtsanwältinnen und –anwälte sollten ihre Risiken immer wieder neu einschätzen, denn nicht nur die mächtigen Akteure und Interessengruppen schüchtern sie ein, sondern auch neue digitale Instrumente und Techniken wie Desinformation und Falschinformationskampagnen können den sozialen und politischen Diskurs sofort zu einer Waffe gegen sie machen und eine potenzielle Bedrohung darstellen. Daher sollten Anwälte und Anwältinnen wissen, wie sie diese Risiken mindern und Desinformationspropaganda entlarven können. Darüber hinaus sollte jedes Kind, jeder Bürger und jede Bürgerin in den Schulen und Universitäten über die eigenen verfassungsmäßigen Rechte aufgeklärt werden. Erst auf diese Weise wird sich das Bewusstsein für die unveräußerlichen Rechte und bürgerliche Freiheiten entwickeln.
Haben Sie einen Tipp für jüngere Anwältinnen und Anwälten bei ihrem Einsatz für Menschenrechte?
Lernen Sie ständig neue technologische Fortschritte und digitale Werkzeuge kennen, um der Propaganda im digitalen und nicht-digitalen Raum entgegenzuwirken. Es geht nicht nur um Ihre eigene Sicherheit, sondern auch um die der Menschen, die Sie als Anwältinnen und Anwälte verteidigen. Mein Rat an männliche Anwaltsanwärter lautet: Sie sind Hüter der Rechtsstaatlichkeit und der verfassungsmäßigen Rechte – auch für ihre weiblichen Kolleginnen. Setzen Sie sich dafür ein und fördern sie so ein demokratisches Umfeld, damit die Grund- und Bürgerrechte geschützt werden.
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