MEXIKO
José Antonio Guevara Bermúdez ist Menschenrechtsanwalt und Co-Direktor des „Zentrums für die Untersuchung von Gräueltaten“ in Mexiko. Seit 2015 ist er Professor für Menschenrechte und Internationales Strafrecht an der Fakultät für Recht und Kriminologie der Autonomen Universität von Tlaxcala. Von 2014 bis 2022 war er eines der fünf Mitglieder der Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen des UN-Menschenrechtsrats (HRC). Als Mitglied des Koordinierungsausschusses für die Sonderverfahren des Menschenrechtsrats (2018-2019). Er hat einen Abschluss in Rechtswissenschaften von der Universidad Iberoamericana, Mexiko-Stadt, und über Menschenrechte an der Universität Carlos III in Madrid, Spanien promoviert.
VITA
José Antonio Guevara Bermúdez ist Menschenrechtsanwalt und Co-Direktor des „Zentrums für die Untersuchung von Gräueltaten“ in Mexiko. Seit 2015 ist er Professor für Menschenrechte und Internationales Strafrecht an der Fakultät für Recht und Kriminologie der Autonomen Universität von Tlaxcala. Von 2014 bis 2022 war er eines der fünf Mitglieder der Arbeitsgruppe für willkürliche Inhaftierungen des UN-Menschenrechtsrats (HRC). Als Mitglied des Koordinierungsausschusses für die Sonderverfahren des Menschenrechtsrats (2018-2019). Er hat einen Abschluss in Rechtswissenschaften von der Universidad Iberoamericana, Mexiko-Stadt, und über Menschenrechte an der Universität Carlos III in Madrid, Spanien promoviert.
Sie waren lange Zeit als hochrangiger Beamter tätig und untersuchen heute als Menschenrechtsanwalt das Versagen der mexikanischen Strafverfolgungsbehörden. Wie kam es dazu?
Ich arbeite derzeit in einer zivilgesellschaftlichen Organisation, die sich mit der Straflosigkeit von Gräueltaten in Mexiko beschäftigt. Die Zahl der in Mexiko begangenen abscheulichen Verbrechen ist skandalös und reicht von Verschwindenlassen über Folter bis hin zu gewaltsamen Tod. Etwa sechstausend dieser Verbrechen gehen auf das Konto der mexikanischen Streitkräfte. Etwa 95% der Fälle bleiben straflos, da sie sowohl von staatlichen Sicherheitskräften als auch von kriminellen Organisationen begangen werden. Dies ist an der Art und Weise der Taten deutlich. Zuvor war ich im akademischen Bereich tätig und hatte die Gelegenheit, an der Universität Iberoamericanain Mexiko-Stadt das Menschenrechtsprogramm zu leiten. Ich war außerdem als Vertreter des Außenministers in der Ständigen Vertretung Mexikos bei den Vereinten Nationen tätig. Anschließend war ich im Innenministerium Leiter der Menschenrechtsabteilung und für die Förderung einer nationalen Menschenrechtspolitik zuständig. Der Unterschied zwischen meiner heutigen und meiner damaligen Arbeit besteht darin, dass man als Menschenrechtsaktivist oder Anwalt darauf achtet, dass die Behörden ihre Arbeit nach festgelegten Normen verrichten. Wir konzentrieren uns auf die Ermittlungsarbeit, die die Staatsanwaltschaften des Landes nicht leisten.
Wie kam es dazu, dass Sie sich auf die Untersuchung von Gräueltaten spezialisiert haben?
In erster Linie sehe ich Gründe, die dafür sprechen, dass in Mexiko Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen worden sind. Ich bin davon überzeugt, dass die Intensität der Auseinandersetzungen zwischen der Armee und kriminellen Organisationen sowie zwischen den kriminellen Organisationen untereinander, als bewaffneter Konflikt mit nicht-internationalem Charakter eingestuft werden können. Die kriminellen Gruppen haben einen ausreichenden Organisationsgrad oder eine ausreichende Struktur, um als bewaffnete Gruppen im Sinne des Humanitäre Völkerrecht zu gelten. Viele der Verbrechen, die seit 2006 in Mexiko begangen wurden, könnten auch als Kriegsverbrechen eingestuft werden. Erschwerend kommt eben hinzu, dass die Verbrechen nicht aufgeklärt wurden. Weder die Generalstaatsanwaltschaft untersucht die Verbrechen, für die sie zuständig ist, noch die örtlichen Staatsanwaltschaften. Aus diesem Grund haben wir zusammen mit einigen Kolleginnen und Kollegen eine neue Organisation gegründet, deren Ziel es ist, Beweise zu identifizieren, zu dokumentieren und zu sichern. Schließlich bemühen wir uns darum, dass die Hauptverantwortlichen für diese Gräueltaten vor den zuständigen Gerichten angeklagt werden.
„Ich werde jede Gelegenheit nutzen, um über die schwerwiegenden Probleme zu sprechen, die mein Land durch Folter und Verbrechen gegen die Menschlichkeit hat."
Wie beurteilen Sie die Gewalt gegen Menschenrechtsverteidiger in Mexiko?
Ich glaube, dass die Angriffe auf Menschenrechtsverteidiger und –verteidigerinnen in Mexiko in den letzten Jahren zugenommen haben. Verleumdungskampagnen sind eine bekannte Methode. Das ist keine neue Entwicklung. Verleumdungskampagnen waren bereits während der Amtszeit von Calderón und dann während der Amtszeit von Peña Nieto weit verbreitet. Jetzt unter der Regierung von Andrés Manuel López Obrador erleben wir, dass die Menschenrechtsbewegungen im Allgemeinen diskreditiert werden. Nicht nur Journalisten, sondern auch Anwälte werden als Regimefeinde und Landesverräter abgestempelt, weil einige von ihnen die Interessen von Organisationen vertreten, die umweltschädliche und damit menschenrechtsverletzende Projekte bremsen.
Können Sie konkrete Beispiele aus Ihrem Berufsalltag nennen?
In einigen Fällen, die wir vor internationale Gremien gebracht haben, ging es uns nicht nur um den Einzelfall, sondern vielmehr darum, auch ein Muster von den in Mexiko begangenen Verbrechen aufzuzeigen. Wir haben daher auch Einzelfälle einbezogen, die in großem Umfang begangen wurden, wie zum Beispiel mehr als 90 nachgewiesene Fälle von Folter in Baja California, Hunderte von Hinrichtungen, willkürliche Verhaftungen, Fälle von sexueller Gewalt und Mord im Bundesstaat Chihuahua. In diesen Fällen war die Armee im Rahmen der Drogenbekämpfung für Operationen verantwortlich, die als gemeinsame Operationen bezeichnet wurden. Im Jahr 2014 reichten wir über zivilgesellschaftliche Organisationen die erste Beschwerde zur systematischen Anwendung von Folter durch die Streitkräfte beim Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) ein. Wir hatten die Möglichkeit, die Aussagen von mehr als 95 Opfern aufzunehmen und sie mit anderen Dokumenten der Nationalen Menschenrechtskommission, Empfehlungen und Pressemitteilungen des Verteidigungsministers selbst zu systematisieren, wie sie sich bei der Inhaftierung von mutmaßlichen Straftätern verhielten und wie der gesamte Staatsapparat zu dieser Zeit funktionierte. Wir haben behauptet, dass Folter Teil der Sicherheitspolitik in Mexiko ist, und dass die Institutionen, wie die Armee und die Marine, die Befugnis haben, Menschen willkürlich zu verhaften, sie in Armeekasernen zu bringen und sie brutal zu foltern. Wenn Menschen an den Folgen der Folter sterben, ist es üblich, die identifizierbaren Leichen verschwinden zu lassen und sie beispielsweise in Massengräbern auf den städtischen Friedhöfen zu verscharren oder heimliche Gräber anzulegen und die Leichen dort zu verstecken.
Haben Sie persönliche Attacken erlebt?
Ja, ein Aktivist der Anti-Kidnapping-Bewegung versuchte in Abstimmung mit Beamten des Außenministeriums, des Ministeriums für Nationale Verteidigung und anderen aus dem journalistischen Bereich, mich und die Organisation, für die ich arbeitete, zu stigmatisieren. Er behauptete, ich hätte ein Interesse daran, mich durch die Wiedergutmachung, die wir für die Opfer erhielten, zu bereichern. Mehrere Journalisten veröffentlichten sehr ähnliche Artikel mit der gleichen Informationsgrundlage, die allesamt Lügen und Halbwahrheiten enthielten. Sie behaupteten zum Beispiel, dass meine Organisation und ich durch die Entschädigungen, die wir für einen Fall vor dem Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte erhalten haben, reich geworden seien. Wir konnten diesen Journalisten aufzeigen, dass die Entschädigungen nur ein lächerlicher Bruchteil an Ausgaben für die vertretenden Organisationen waren, für einen Prozess, der mehr als neun Jahre vor dem Interamerikanischen System gedauert hat. Dann entschuldigten sich einige Journalisten und räumten ein, dass diese Personen, einige Beamte und diese Anti-Entführungs-Aktivisten, ihnen eindeutig falsche Informationen gegeben hatten.
Was sind die größten Herausforderungen für Menschenrechtsanwältinnen und Menschenrechtsanwälte in Mexiko?
Die größte Herausforderung besteht darin, den Präsidenten erst einmal dazu zu bringen, dass er verbale Angriffe gegen Menschenrechtsverteidigerinnen und gegen Anwälte, die Opfer vertreten, unterlässt. Gerade seine Worte, mit denen er Menschenrechtsanwälte und –anwältinnen diskreditiert, führen dazu, dass die staatlichen Institutionen, die eigentlich mit ihnen zusammenarbeiten sollten, eine Zusammenarbeit ablehnen. Es ist sehr schwierig mit der derzeitigen Regierung zu kooperieren. Dies spiegelt sich leider auch im Vorgehen der Generalstaatsanwaltschaft wider, die den Dialog mit Anwälten und Anwältinnen, die Opfer vertreten, eingeschränkt hat. Opfer und ihre Anwälte müssen daher Gerichtsverfahren anstreben, um überhaupt sicherzustellen, dass strafrechtliche Ermittlungen vorangebracht werden.
Was ist Ihre Botschaft an Anwältinnen und Anwälte, die gegen Straflosigkeit kämpfen?
Nun, meine Botschaft wäre, dass Sie jedes Mal, wenn Sie eine Art von Verleumdungsangriff erhalten, die Gelegenheit nutzen und über die von Ihnen vertretenen Anliegen sprechen sollten. Mit Verleumdungskampagnen soll nur bezweckt werden, uns von unserer Aufgabe abzulenken. Genau das habe ich persönlich getan. Als sie mich angegriffen haben, habe ich gesagt, dass ich mich nicht öffentlich gegen diese unbegründeten Anschuldigungen verteidigen werde. Ich werde die Gelegenheit allerdings nutzen, um über die schwerwiegenden Probleme sprechen, die das Land durch Folter und Verbrechen gegen die Menschlichkeit hat, die von den mexikanischen Streitkräften im Zusammenhang mit dem Kampf gegen die Drogen begangen werden.
Mexiko